Reto von Känel und Fritz Jakob vom Kieswerk Wynau staunten nicht schlecht: Sie waren im Sommer 2023 daran, mit dem Bagger Kies abzubauen, als sie plötzlich merkwürdige Gegenstände entdeckten. Vorsorglich stoppten sie ihre Arbeiten und meldeten ihren Fund dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern (ADB). Noch am selben Tag rückte eine Mitarbeiterin des ADB aus. Sie bestätigte, dass die beiden Kieswerkarbeiter Fragmente eines Mammutstosszahns von rund 50 Zentimetern Länge und 14 Zentimetern Durchmesser entdeckt hatten. Bei dem Stosszahn handelt es sich um ein Einzelstück. Denn eine Untersuchung der Kiesschichten und die Begleitung des weiteren Kiesabbaus erbrachten keine weiteren Funde.
Universität Bern datiert Fund
Das Mammut ist in unseren Gegenden am Ende der letzten Eiszeit ausgestorben. Es stellte sich daher die Frage, aus welcher Phase der Eiszeit der Fund stammt. Die Datierung solcher Objekte ist kein einfaches Unterfangen. Im zweiten Anlauf gelang Sönke Szidat vom Labor zur Analyse von Radiokohlenstoff mit Beschleuniger-Massenspektrometrie der Universität Bern die Altersbestimmung. Die Radiokarbonmessungen ergaben, dass das Tier ungefähr im Zeitraum von 24 800 bis 24 100 v. Chr lebte.
Gletscher und Steppenlandschaft im Mittelland
Damals, vor rund 26 000 Jahren, begann der Höchststand der letzten Eiszeit. Der Rhonegletscher floss vom Genfersee nach Nordosten. Er bedeckte das westliche Mittelland und endete unmittelbar westlich von Oberbipp, Aarwangen und Langenthal, also ungefähr fünf Kilometer vom Fundort entfernt. Glaziologen der Universität Bern haben den Fundort geprüft. Die Abfolge und Zusammensetzung von Sand- und Kiesschichten in der heutigen Kiesgrube lassen vermuten, dass dort einst ein Fluss durchzog. Der Stosszahn stammt wahrscheinlich von einem erwachsenen Mammut-Bullen, der in der Steppenlandschaft im Vorfeld des Rhonegletschers verendet war. Der Fluss schwemmte den liegengebliebenen Stosszahn schliesslich an den Fundort. Überdeckt von Sand und Kies, blieben die Fragmente dort gut geschützt über Jahrtausende im Boden erhalten.
Funde aus der Eiszeit sind selten
Das eisfreie Steppengebiet des Mittellandes bot während der Eiszeit einen geeigneten Lebensraum für pflanzenfressende Mammute, Wollnashörner und Wisente. Trotzdem sind Funde aus dieser Zeit sehr selten. Spuren von Menschen, die als Jäger in kleinen Gruppen die Kaltsteppe durchstreiften, sind aus dem Mittelland nicht bekannt. Wenn es welche gab, war ihre Zahl so gering, dass Funde unwahrscheinlich sind. Der Archäologische Dienst wird zusammen mit dem für Fossilien zuständigen Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern über die Konservierung und den Verbleib des faszinierenden Fundes entscheiden.
Relikte in Kiesgruben
In Kiesgruben treten hin und wieder Relikte eiszeitlicher Grosssäuger zutage. Schon 1979 wurde ein Mammutstosszahn in der Kiesgrube Wynau entdeckt, rund 400 Meter vom aktuellen Fundort entfernt. Auch sind frühere Funde von Wollnashorn und Wildpferd bekannt. Von einer Kiesgrube in der Gemeinde Roggwil ist aus den 1930er-Jahren ebenfalls der Fund eines Mammutstosszahns überliefert. Ebenso aus anderen Kiesgruben der weiteren Umgebung, beispielsweise in Langenthal, Ochlenberg und Niederbipp sowie im angrenzenden Kanton Luzern.
Dokumentation
- Fundort Kiesgrube: Beim Kiesabbau in Wynau wurde der Mammutstosszahn entdeckt. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Sébastien Dénervaud
- Die fünf Stosszahnfragmente aus Wynau stammen wahrscheinlich von einem Mammutbullen. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Daniel Marchand
- Die Schichtabfolge in der Kiesgrube von Wynau. Die Mammutstosszahnfragmente wurden in einer sandigen Ablagerung gefunden, die wohl durch langsam fliessendes Wasser entstanden war. © Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Sébastien Dénervaud