Das öffentliche Beschaffungswesen ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Kanton Bern: Jedes Jahr kaufen der Kanton und die Gemeinden für mehrere Milliarden Franken Güter und Dienstleistungen ein oder lassen Bauten erstellen. Die Erneuerung des internationalen WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) nahmen der Bund und die Kantone zum Anlass, um die Regeln für öffentliche Beschaffungen in der Schweiz zu vereinheitlichen.
Seit 1. Januar 2021 gilt das neue Recht bereits für die Bundesverwaltung, und im Juni 2021 beschloss der Grosse Rat des Kantons Bern das Gesetz über den Beitritt zur Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöBG). Am 17. November 2021 hat der Regierungsrat dieses Gesetz sowie die dazugehörende Einführungsverordnung (IVöBV) auf den 1. Februar 2022 in Kraft gesetzt. Für Aufträge, die vor dem 1. Februar 2022 erteilt oder ausgeschrieben werden, gilt noch das bisherige Recht.
Das Ziel: Mehr Qualitätswettbewerb und Nachhaltigkeit in der Beschaffung
Zu den wichtigsten Neuerungen gehören die folgenden:
Kantonale Beschaffungsstellen müssen wenn möglich Nachhaltigkeitskriterien anwenden.
- Die Beschaffungsstellen müssen Massnahmen gegen Interessenkonflikte, unzulässige Wettbewerbsabreden und Korruption ergreifen. Für Personen, die Missstände melden (Whistleblower) wird eine Meldestelle eingerichtet, und sie werden vor Repressalien geschützt.
- Bei unzulässigen Wettbewerbsabreden droht eine empfindliche Konventionalstrafe.
- Die Nachweise zur Teilnahme an Beschaffungsverfahren müssen neu auch von Subunternehmerinnen und -unternehmern eingereicht werden. Dazu gehört neu auch die Analyse der Lohngleichheit von Frauen und Männern, die das Bundesrecht für Unternehmen ab 100 Angestellten vorschreibt.
- Die Beschaffungsstellen müssen der Situation der KMU Rechnung tragen, etwa indem sie grundsätzlich Bietergemeinschaften oder Subunternehmen zulassen oder wenn möglich grosse Aufträge in Lose unterteilen.
- Ungewöhnlich günstige Angebote müssen vertieft überprüft werden. Jene Anbieter, die sich nicht an Regeln halten oder kein verlässliches Angebot einreichen, können einfacher vom Verfahren ausgeschlossen werden.
- Die Beschwerdefrist beträgt neu 20 statt 10 Tage. Der Schwellenwert für das Einladungsverfahren bei Gütern wird dem Schwellenwert für Dienstleistungen angepasst und beträgt neu 150'000 statt 100'000 Franken.
- Zuschläge können digital auf simap.ch statt per Brief eröffnet werden, und die Auftraggeber können die digitale Einreichung von Angeboten vorsehen.
- Wer regelmässig öffentliche Beschaffungen durchführt, muss die dafür nötigen Kompetenzen mitbringen und dies mit einer Ausbildung oder entsprechender Erfahrung belegen können.
Mit einer Verordnungsänderung wird der Regierungsrat zu einem späteren Zeitpunkt spezifische Regeln für die Kontrolle der Lohngleichheit von Frauen und Männern aufstellen. Den Auftrag dazu erteilte ihm der Grosse Rat im Juni 2021 im Rahmen der Beratung des IVöBG.
Der Kanton unterstützt die Beschaffungsstellen beim Anwenden der neuen Regeln
Auf der Webseite www.be.ch/beschaffungen veröffentlicht der Kanton laufend aktualisierte Vorlagen, Hilfsmittel, Fragen und Antworten sowie Ausbildungsangebote zum neuen Recht. Fachleute aus den Beschaffungsstellen, den Unternehmen, den Beschwerdeinstanzen und der Anwaltschaft, welche die Änderungen im Detail kennenlernen wollen, können sich dort auch für ein Online-Webinar zum neuen Recht anmelden. Beschaffungsstellen, die Fragen zum neuen Recht haben, können sich per E-Mail (beschaffungen@be.ch) oder per Telefon (+41 31 633 44 10) an die Zentrale Koordinationsstelle Beschaffung im Amt für Informatik und Organisation (KAIO) wenden.