Am 8. November 2023 beschloss der Gemeinderat der Stadt Bern folgende Grundsätze als Richtlinie für die Bewilligungsbehörde für Kundgebungen/Veranstaltungen in der Innenstadt ab dem 17. November 2023 bis zum Ende der Adventszeit:
- «Grosskundgebungen können in der Innenstadt ab dem 17. November bis zum Ende der Adventszeit nicht bewilligt werden.
- Umzüge können in der Innenstadt ab dem 17. November bis zum Ende der Adventszeit nicht bewilligt werden.
- Auf den Plätzen der Innenstadt, auf denen die Weihnachtsmärkte stattfinden (momentan Waisenhausplatz, Bärenplatz und Münsterplatz), können keine weiteren Veranstaltungen/Kundgebungen bewilligt werden.
- Kleinere, ruhigere Kundgebungen (z.B. Mahnwachen) können auf dem Casino- oder Bahnhofplatz bewilligt werden, wenn die Weihnachtsmärkte und deren Besucherinnen und Besucher nicht gestört werden, sie in keiner Weise ein sicherheitspolizeiliches Risiko darstellen sowie die allgemein gültigen Voraussetzungen erfüllt sind.
- Kundgebungen auf den Aussenplätzen (z.B. Allmend, Rosalia-Wenger-Platz oder Gilberte-de-Courgenay-Platz) sind weiterhin möglich, sofern die allgemein gültigen Voraussetzungen erfüllt sind.»
Gegen diesen Gemeinderatsbeschluss reichten mehrere Beschwerdeführende eine Beschwerde bei der Regierungsstatthalterin ein und machten Grundrechtsverletzungen, wie die Verletzung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit, geltend.
Die Regierungsstatthalterin prüfte in einem ersten Schritt die Anfechtbarkeit des Gemeinderatsbeschlusses. Gemäss dem Wortlaut beinhaltet dieser «Grundsätze und Richtlinien» für die Bewilligungsbehörde für Kundgebungen und Veranstaltungen. Es ist damit von einer internen Weisung auszugehen. Sie wertete den angefochtenen Akt als Beschluss über eine Verwaltungsverordnung und bejahte dessen Anfechtbarkeit.
Inhaltlich kommt die Regierungsstatthalterin zum Schluss, dass für den Grundrechtseingriff mit dem städtischen Kundgebungsreglement eine hinreichende gesetzliche Grundlage vorliegt. Namentlich ist aufgrund bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Bewilligungspflicht für Kundgebungen grundsätzlich zulässig. Zudem bejaht sie das öffentliche Interesse: In der Vorweihnachtszeit im Jahr 2023 wurde der öffentliche Raum stark in Anspruch genommen und es herrschte eine sehr angespannte Situation in der Stadt Bern aufgrund des Nahostkonfliktes, einem YB-Hochrisikospiel sowie dem Staatsbesuch von Präsident Macron. Es bestand ein öffentliches Interesse daran, dass die Ressourcen der Kantonspolizei in der Innenstadt nicht durch weitere Demonstrationen, die einen Grosseinsatz der Kantonspolizei bedurft hätten, beansprucht wurden. Zudem gab es angesichts zahlreicher anderer Nutzungen des öffentlichen Raumes durch Weihnachtsmärkte, Rendez-vous am Bundesplatz, Zibelemärit usw. ein Gefährdungspotenzial, womit eine Einschränkung der Bewilligungspraxis auch aufgrund des Schutzes von Grundrechten Dritter gerechtfertigt war.
Weiter bejahte die Regierungsstatthalterin die Verhältnismässigkeit der Einschränkung der Bewilligungspraxis, da die Verwaltungsverordnung nicht ein gänzliches Kundgebungsverbot vorsah, sondern immer noch Demonstrationen möglich waren. So sind in der Zeit vom 17. November 2023 bis 23. Dezember 2023 40 Kundgebungsgesuche eingereicht und davon 24 bewilligt worden. Damit waren Bewilligungen für Demonstrationen ausserhalb der Innenstadt und auch kleinere Kundgebungen weiterhin möglich. Zudem waren jederzeit Spontankundgebungen aufgrund eines konkreten Ereignisses erlaubt.
Aus diesen Gründen wies die Regierungsstatthalterin die Beschwerde ab.